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Zukunftsprojekt Sektorkopplung

Warum uns künftig weder Dunkelflauten noch Lichtstürme Sorge bereiten müssen

11.2022 - Zurück zur Übersicht

Jede Revolution schlägt sich in neuen Begriffen und Schlagworten nieder. Auch die tiefgreifende Wende in der Energieversorgung, die sich derzeit anbahnt, ist da keine Ausnahme. Sie hat etwa den Begriff der „Dunkelflaute“ hervorgebracht. Gemeint ist: Mit dem Einsatz der erneuerbaren Energieträger Windkraft und Photovoltaik machen wir uns von der Wetterlage abhängig. Wie sichern wir eine stabile Stromversorgung, wenn gleichzeitig Wind und Sonne ausbleiben, wenn also „Dunkelflaute“ herrscht?

Eigentlich fehlt noch ein Begriff für den umgekehrten Fall: Wie reagieren die Stromnetzbetreiber, wenn bei kräftigem Wind auch die Sonne strahlend scheint? Wohin mit all dem kostbaren Grünstrom, den wir nicht mehr einspeisen können, ohne die Stabilität der Stromnetze zu gefährden? Wie nennen wir solche Überfluss-Bedingungen, vielleicht: „Lichtsturm“ als Gegenstück zur „Dunkelflaute“?

Prinzipiell können elektrische Stromnetze keinen Strom speichern, die Menge an eingespeister Energie muss auch verbraucht werden, um die Netze nicht zu überlasten. Aber auch vor dem massiven Ausbau der erneuerbaren Energien gab es Schwankungen, sowohl im Verbrauch bei Spitzenlastzeiten als auch in der Erzeugung. Zur Kompensation dieser Schwankungen gibt es konventionelle Speichermethoden. Die effizienteste ist etwa das Speicherwasserkraftwerk. Dabei wird Fließwasser zu einem Stausee aufgestaut, aus dem es bei erhöhtem Energiebedarf abfließt und die mechanische Energie des Wassers in elektrische Energie umwandelt. Wenn überschüssiger Strom genutzt wird, um mittels Pumpen ein Staubecken zu füllen, dann handelt es sich um ein Pumpspeicherkraftwerk.

Inzwischen stehen aber aufgrund der voranschreitenden Digitalisierung wesentlich subtilere und flexiblere Methoden der Stromspeicherung zur Verfügung. Um in beiden Szenarien, bei Dunkelflaute ebenso wie bei Lichtsturm, eine stabile Stromversorgung zu gewährleisten, kommt das Konzept der Sektorkopplung ins Spiel. Das bedeutet: die intelligente Verbindung der verschiedenen Energiesektoren, die bislang weitgehend isoliert behandelt wurden. Es geht also um die Vernetzung des Stromsektors mit den Sektoren Wärmeerzeugung und Mobilität. Wie funktioniert das?

Zentrum und Herzstück der Sektorkopplung ist die Stromerzeugung. Nicht benötigter Strom aus erneuerbaren Energieträgern wird in die anderen Sektoren eingespeist, kommt direkt zum Einsatz oder wird dort gespeichert. Man spricht daher von einer „Power to X“-Strategie. Power steht für Strom, X für den jeweiligen Sektorenbereich, in dem der Strom verwendet oder gespeichert wird. 

Geben wir jedem X einmal einen Namen: Gas oder Heat oder Mobility.

Power to Gas

Hier wird der überschüssige Grünstrom dazu genutzt, um mittels Elektrolyse Wasser in seine elementaren Bestandteile Wasserstoff und Sauerstoff aufzuspalten. Kennt jeder aus dem Chemieunterricht. Der so erzeugte Wasserstoff kann beispielsweise direkt für Fahrzeuge oder in industriellen Prozessen genutzt, im Erdgasnetz beigemischt oder weiter umgewandelt werden, beispielsweise in Ammoniak oder Methan.

Übrigens: Ein interessantes Beispiel für „Power to Gas“ ist die Kooperation zwischen der W.E.B und der OMV. Ein eigens dafür errichtetes W.E.B-Windrad in Götzendorf im Weinviertel wird den nachhaltigen Strom liefern, mit dem die OMV mittels eines Elektrolyseurs grünen Wasserstoff erzeugen wird.

Power to Heat

Dabei werden Stromüberschüsse zur Erhitzung von Wasser genutzt. Am einfachsten geschieht das mit dem guten alten Tauchsiederprinzip. Das heiße Wasser kann entweder zum Heizen oder als Nutzwasser verwendet werden. Erhitztes Wasser kann aber auch in Wärmespeichern bewahrt werden, die je nach Größe die Wärme des Wassers für Stunden oder Tage speichern können. Das ist allerdings nicht die effizienteste Art von Power to Heat.

Die viel bessere Möglichkeit für Power to Heat ist: Grünstrom wird zum Betreiben einer Wärmepumpe verwendet, etwa zur Nutzung von Erdwärme. Einsatzgebiete wären Haushalt, Fernwärme und Industrie. Der Vorteil: Die Technologien sind erprobt, und Wärme lässt sich leichter und kostengünstiger speichern als Strom. Ein weiterer Vorteil ist der hohe Wirkungsgrad. Mit einem Hochtemperaturspeicher, etwa auf der Basis von Salz, wäre sogar eine Rückgewinnung von Strom möglich: Power-to-Heat-to-Power also (wenn es unbedingt sein müsste).

Power to Mobility

Das größte und wichtigste Feld ist die rasant wachsende E-Mobilität. Die ist natürlich nur dann nachhaltig, wenn die Fahrzeuge mit grünem Strom versorgt werden. Auch hier gilt: Was tun, wenn zu viel oder zu wenig Strom erzeugt wird, um ein Fahrzeug oder gar eine ganze Unternehmensflotte zu versorgen? Hier hat die W.E.B bereits Mustergültiges geleistet. Ein Fuhrpark von rund 60 E-Fahrzeugen wird an 60 Ladepunkten auf dem Firmengelände versorgt. Wenn alle Ladestationen gleichzeitig laden, ergäbe das einen Strombedarf, der das Vierfache der vorhandenen Netzkapazität des Unternehmens ausmacht, dafür reicht auch die Stromerzeugung aus den firmeneigenen PV-Modulen nicht aus. Denn zusätzlich gibt es natürlich auch weiteren Strombedarf am Firmenstandort (Server, Beleuchtung etc.). Die W.E.B hat darum eine Ladestellenregelung entwickelt, die sicherstellt, dass die Autos zwar geladen werden, aber nur so viel bekommen, wie gerade zur Verfügung steht.

Umgekehrt können E-Fahrzeuge auch den überschüssigen Strom speichern und bei Bedarf wieder ins Netz zurückspeisen. Sie werden dadurch zu „Rolling Batteries“. Die W.E.B ist an einem Pionierprojekt beteiligt, das die dafür notwendige Software entwickelt. (Im letzten Blog-Beitrag wurde das Projekt vorgestellt.)

Ein historischer Vergleich

Möglich wurde die Sektorkopplung erst durch die rasant voranschreitende Digitalisierung. Ein historischer Vergleich dazu: Anfang der Siebzigerjahre erlebten wir die Geburtsstunde des interaktiven Fernsehens. Bei der TV-Show „Wünsch dir was“, einer deutsch-österreichisch-schweizerischen Koproduktion, moderiert von Dietmar Schönherr und Vivi Bach, konnten die Zuseher eines bestimmten Ortes den Sieger der Sendung wählen. Ihr Votum gaben diese Zuseher ab, indem sie entweder die Elektrogeräte in ihren Wohnungen einschalteten oder die Toilettenspülung betätigten. Der in den betreffenden Wasser- bzw. Elektrizitätswerken abgelesene Mehrverbrauch wurde dann per Telefonschaltung den Moderatoren mitgeteilt.

Der Wandel von dieser Art der historischen Interaktivität hin zu einer sekundenschnellen landesweiten Mitteilung via Online-Voting entspricht in etwa dem Fortschritt von der bisherigen konventionellen Stromspeicherung hin zu den ungeheuren Möglichkeiten einer flexibel ausgebauten, regionalen Sektorkopplung. Kein Zweifel: Es gibt noch einiges zu tun, bis alle Sektoren intelligent und systematisch gekoppelt sind. Doch die Umstellung auf eine Versorgung mit nachhaltiger Energie ist die Anstrengungen wert. Denn wenn es uns gelingt, die zu versorgenden Sektoren nicht mehr isoliert zu denken, dann steht die Energiewende auf soliden, beweglichen Beinen. Dann können wir gelassen allen künftigen Dunkelflauten und Lichtstürmen entgegenblicken.