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INTERVIEW Katharina Gangl, Leiterin der IHS-Forschungsgruppe Behavioral Economics (Insight Austria)

„Richtig wirksam sind Gesetze und Geld.“

04.2024 - Zurück zur Übersicht

Katharina Gangl, Leiterin der IHS-Forschungsgruppe Behavioral Economics (Insight Austria), beschäftigt sich seit mehr als 13 Jahren mit der Frage, wie sich die Kooperation zwischen Menschen durch die Hilfe von Institutionen aufbauen lässt. Ein Forschungsschwerpunkt der Wirtschaftspsychologin liegt in der Untersuchung von kooperativem Verhalten in Anbetracht akuter Krisen wie der Klimakrise.

Wir wissen seit einigen Jahrzehnten, was mit dem Klimawandel auf uns zukommt und wie wir gegenlenken könnten. Warum tun wir es nicht?

Das hat viele Gründe und gleichzeitig ist es nicht das einzige Problem, bei dem wir wissen, was zu tun wäre, und es nicht schaffen: Denken wir an Sport, gesund essen, aufhören zu rauchen – auch daran scheitern wir tagtäglich. Denn unsere über lange Zeit gepflegten Gewohnheiten aufzugeben, bedeutet ein permanentes Dranbleiben, wir müssen dafür unseren Lebensstil ändern – das wollen die wenigsten von uns, und deshalb verwenden wir viel Zeit darauf, Ausreden zu finden. Wir wollen jetzt Spaß haben und verdrängen, was langfristig besser für uns wäre. Beim Thema Klimawandel ist es allerdings so, dass uns die katastrophalen Folgen auch dann betreffen, wenn wir uns individuell richtig verhalten.

Wie stark beeinflussen staatliche Institutionen unser persönliches Verhalten?

Der Staat ist definitiv der größte Einflussfaktor von allen und kann mit Gesetzen und Regeln gut steuern, indem er ein bestimmtes Verhalten einfacher und günstiger macht als ein anderes und dieses auch noch aktiv bewirbt. Deshalb liegt es an der Politik, die Gesellschaft bei den tiefgreifenden Verhaltensänderungen zu einem umweltbewussteren Leben
zu unterstützen. Derzeit wird allerdings klimaschädliches Verhalten gefördert: Es fließt viel Geld in den Straßenbau statt in Fahrradwege und den Öffi-Ausbau am Land, Neubauten sind im Vergleich zum Kauf und der Sanierung von alten Häusern zu billig. Damit macht uns die aktuelle Subventionspolitik den Umstieg zu einem umweltfreundlicheren Leben schwer. Ihre Aufgabe wäre es aber, diesen leicht zu machen, denn wir wollen es leicht und einfach haben.

Müssen sich also Politik und Wirtschaft ändern, bevor wir unser persönliches Verhalten ändern?

Ja, aber nicht nur sie. Auch die Wissenschaft trägt Verantwortung, und auch hier gibt es einen dringenden Veränderungsbedarf. Anstatt nur zu sagen: „Ändert euch!“, müssen wir die konkreten und gangbaren Wege erforschen, die nachhaltige Änderungen ermöglichen. Es gibt viele Studien zum Klimawandel, die meisten kommen aber aus dem naturwissenschaftlichen oder technischen Bereich. Was uns fehlt, sind große Forschungsprojekte zu Verhaltensänderungen: Welche Maßnahmen funktionieren und welche nicht. Aktuell gibt es sehr viel Meinungsforschung, wir müssen aber dringend das Verhalten erforschen: Wenn wir wüssten, wie sich das Streichen von Privilegien gut managen lässt, dann würden nicht in ganz Europa wütende Landwirt:innen mit Traktorenkonvois Straßen lahmlegen und Politiker:innen dazu bringen, ihre Naturschutzvorgaben wieder zurückzunehmen. Dabei dürfen wir den Einfluss von Lobbyist:innen nicht unterschätzen. Es fließt viel Geld in die Desinformation der Bevölkerung, da viele Gruppen davon profitieren, wenn wir unser Verhalten nicht ändern. Zudem punkten populistische Parteien mit Anti-Klimaschutz-Parolen, denn sie sagen uns damit, was wir hören wollen: „Bleib so, wie du bist.“ Sie versprechen, dass wir nichts ändern müssen und eh alles richtig machen – im Unterschied zur „Elite“, die alles verbieten will, was uns Spaß macht. Wir müssen deshalb dringend unsere Kommunikation ändern: Klimaschutz darf nicht mehr mit Langeweile und Verzicht assoziiert werden und Klimasünden mit Lebensfreude, sondern umgekehrt. Denn wir funktionieren nach dem Lustprinzip. Wir müssen also zeigen, dass Umweltschutz Spaß macht – und genau darin Lebensfreude ihren Ausdruck findet.

Wo sehen Sie für Energieunternehmen dengr ößten Hebel, um Menschen mittel- und langfristig zum Energiesparen zu bringen?

Eine Möglichkeit wäre, sich mit anderen Unternehmen zusammenzuschließen und Schulungsgruppen zu schaffen, die den Mitarbeiter:innen großer Unternehmen vor Ort einen nachhaltigeren Lebenswandel näherbringen. Das wäre nicht nur deshalb besonders effizient, weil damit viele Menschen gleichzeitig erreicht werden könnten, sondern auch, weil sich diese gegenseitig anspornen und zudem das Gelernte mit nach Hause in die Familien tragen würden. Wichtig wäre dabei, die laufenden Prozesse zu evaluieren und zu optimieren.

Von welchen Maßnahmen wissen wir denn noch, dass sie greifen? Was bewegt uns zu klimabewussterem Handeln?

Wir wissen z. B. auch, dass kleine Anstöße, sogenannte Nudges, funktionieren. Eine Studie hat gezeigt, dass Personen, die beim Duschen eine Anzeige sehen, die sowohl den Energieverbrauch (in kWh) als auch ein Effizienzrating (A–G) und die
verbrauchsabhängige Animation eines Eisbären auf einer schrumpfenden Scholle zeigt, ihren Energieverbrauch um bis zu 22 % reduziert haben. Das zeigt uns einmal mehr, dass das Feedback umso wirksamer ist, je unmittelbarer und je anschaulicher es erfolgt. Nudges können jedoch nur ergänzen und hebeln, richtig wirksam sind Gesetze und Geld.

Auch Role Models sind wichtig für unser Verhalten: Prominente, die für vegetarisches Essen werben und Wegwerfbesteck uncool finden – oder die schwedische Königsfamilie, die mit einer Wärmepumpe heizt und damit in ihrem Land für eine breite Akzeptanz dieser Heizungsart gesorgt hat. Der Einfluss von Role Models ist deshalb so groß, weil sie definieren, was Luxus ist, und damit auch, was für uns als erstrebenswert gilt. Da wir die „Reichen und Schönen“ nachahmen, so sein wollen wie sie, ist es umso wichtiger, dass Personen, die in der Öffentlichkeit stehen, umweltbewusstes Verhalten vorleben – damit machen sie Klimaschutz interessant und für alle erstrebenswert.

Zudem verursachen die vermögendsten zehn Prozent laut einer Berechnung der Hilfsorganisation Oxfam die Hälfte des globalen CO2- Ausstoßes. Damit entscheiden sie auch über das Gelingen der Energiewende.

Ja, die Vermögenden sind zentral in der Verantwortung. Je mehr jemand konsumiert, desto größer die Pflicht, das Verhalten zu ändern – rein rechnerisch, aber auch aus Fairnessgründen. Wieso soll der Fabriksarbeiter auf sein Schnitzel verzichten, während die Millionenerbin weiterhin wöchentlich mit ihrem Privatjet um die Welt fliegt? Das kann nicht funktionieren. Wir brauchen ein neues Konzept von Reichtum, einen alternativen Hedonismus, der Fernreisen, SUVs und das eigene Einfamilienhaus durch umweltfreundlichere Assets austauscht.

Wir brauchen andere Kriterien für Erfolg. Diese müssen uns von unseren Vorbildern vorgelebt werden, es liegt in ihrer Hand, Klimaschutz attraktiv zu machen. Geht die Influencerin mit wiederverwendbaren Verpackungen einkaufen, dann werden sich die Supermärkte darauf einstellen müssen, dass ihnen vermehrt Schraubglaser und Tupperware zur Befüllung über die Theke gereicht werden. 

Zum Abschluss eine persönliche Frage: Warum setzen Sie sich so intensiv damit auseinander, wie Menschen zu einem umweltbewussteren Verhalten motiviert werden können? 

Umwelt- und Klimaschutz sind so akut und wichtig, dass alle, die können, daran mitarbeiten sollten – also auch ich. Zudem finde ich, dass das Thema pragmatischer angegangen werden sollte, als das jetzt der Fall ist. Ich halte auch nichts davon, zu moralisieren, ich will Lösungen entwickeln, die zum Leben der Menschen passen. Umweltschutz sollte kein ideologisches Thema sein, sondern ein praktisches, bei dem man rational verschiedene Dinge ausprobiert. Wir sollten uns alle mit unseren Fähigkeiten einbringen, denn wir werden es nur gemeinsam schaffen. Mit meinem Forschungsteam kann ich eben auf meine Weise dabei helfen