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INTERVIEW Josef Schmoll, GeschĂ€ftsfĂŒhrer von Notruf Niederösterreich

"Wir können die VerĂ€nderung in Zusammenhang mit dem Klimawandel belegen.“

04.2024 - ZurĂŒck zur Übersicht

Josef Schmoll, GeschĂ€ftsfĂŒhrer von Notruf Niederösterreich und erfahrener Einsatzleiter bei KatastropheneinsĂ€tzen, ĂŒber die geĂ€nderten Anforderungen an Notruforganisationen angesichts des Klimawandels, seine EinschĂ€tzung dieser Dynamik in der Zukunft und darĂŒber, wie sich Einsatzorganisationen darauf einstellen.

Als eine der weltweit fĂŒnf grĂ¶ĂŸten Leitstellen im Bereich der Gesundheits- und Notrufdienste ist Notruf Niederösterreich die erste Anlaufstelle, wenn es um Leib und Leben geht. Gab es dabei in den letzten Jahren spĂŒrbare VerĂ€nderungen, die Sie in Zusammenhang mit dem Klimawandel bringen?

Ja, die VerĂ€nderungen sind offensichtlich. Da bei uns alle medizinischen Notrufe aus Niederosterreich eingehen, haben wir eine gute Datenbasis, um diese VerĂ€nderungen auch zu belegen. Dabei bemerken wir unter anderem, dass Unwettereinsatze immer hĂ€ufiger werden. Denn seit einigen Jahren kommt es durch die KlimaverĂ€nderung vermehrt zu Starkregenfallen und auch zu FlĂ€chenbrĂ€nden infolge von DĂŒrre und Trockenheit. WĂ€hrend sich die Regenmengen frĂŒher ĂŒber das ganze Jahr verteilt haben, kommt es in den letzten Jahren vermehrt zu Starkregen, also einzelnen Gewitterzellen, die punktuell niedergehen. Wenn sehr viel Regen auf einmal fallt, kann der Boden das Wasser nicht mehr aufnehmen, und einzelne Ortschaften stehen plötzlich unter Wasser. Das ist eine ganz andere Situation als bei einem sich ankĂŒndigenden Hochwasser, das es immer schon gab. Auch Sturmschaden sind hier zu nennen, die ebenfalls zahlreiche Straßenblockaden und Schaden im Stromnetz nach sich ziehen.

Sie waren Anfang der 2000er-Jahre Einsatzleiter bei großen internationalen KatastropheneinsĂ€tzen. Unterscheiden sich diese Naturkatastrophen von den aktuellen?

Das waren damals allesamt Erdbebeneinsatze. Ungewöhnlich war dabei die HĂ€ufung an großen Erdbeben – 1999 in der TĂŒrkei, 2003 im Iran, 2004 in Algerien und 2005 in Thailand. Bemerkenswert war, dass die internationale Hilfe schon damals gut organisiert war – sowohl die EuropĂ€ische Union als auch die United Nations waren eine große Hilfe. Auch das Rote Kreuz, das mich damals als Einsatzleiter entsandt hat, war bereits international sehr gut vernetzt. Ziel war damals wie heute, dass die betroffenen Regionen so rasch wie möglich die Hilfe erhalten, die sie benötigen. Durch diese Naturkatastrophen ist vor allem die Erfahrung der internationalen Zusammenarbeit gewachsen, sodass Hilfsorganisationen heute noch schneller auf derartige Ereignisse reagieren können. 

Hochwasserkatastrophen zĂ€hlen weltweit zu den grĂ¶ĂŸten Naturgefahren fĂŒr Menschen. Aus diesem Grund betreibt das Land Niederösterreich ein hydrologisches Messnetz mit fast 1.000 Stationen – und das nicht erst seit dem Jahrhunderthochwasser im Jahr 2002. Wie wichtig ist diese kontinuierliche Beobachtung des Wasserkreislaufs fĂŒr Ihre Arbeit?

Das dichte Datenmaterial und auch die Prognosen des Hydrographischen Dienstes sind fĂŒr uns von essenzieller Bedeutung. Zudem nutzen wir unseren Zugriff auf die Wetterdaten und das Wetterradar von GeoSphere Austria (vormals ZAMG, Anm.) und beobachten auch selbst alle Messstationen und Webcams, die uns zur VerfĂŒgung stehen. Mithilfe der ĂŒber die Jahre gesammelten historischen Wetterdaten können wir genauere Risikoprognosen abgeben, welche Auswirkungen z. B. von großen Regenmengen oder Gewittern ausgehen, um genĂŒgend EinsatzkrĂ€fte zu organisieren.

In Ihre ZustÀndigkeit fÀllt unter anderem die Alarmierung von Sonderrettungsdiensten wie Bergrettung, Wasserrettung und Höhlenrettung sowie die Koordination aller SuchhundeeinsÀtze. Welche Rolle spielen Wetterereignisse in diesem Bereich? Wie hat sich das in den letzten Jahren verÀndert?

Das Wetter spielt bei allen NotfalleinsĂ€tzen eine ganz zentrale Rolle. Denn hier entscheidet immer der Faktor Zeit, und dieser hĂ€ngt stark vom Wetter ab. Die wichtigste Frage ist ja immer: Wie schnell können die RettungskrĂ€fte vor Ort sein? Da wir nicht nur Einsatze auf der Straße, sondern auch aus der Luft koordinieren, mĂŒssen wir dabei z. B. auch spontan beurteilen können, ob ein Helikopter genug Sicht hat, um zum Einsatzort zu fliegen. Im alpinen Bereich werden oft Kletterer oder Wanderer von heftigen Gewitterzellen ĂŒberrascht und kommen nicht mehr weiter. Hier sind wir als Leitstelle gefordert, nicht nur die Notrufmelder, sondern auch die EinsatzkrĂ€fte vor weiteren Gefahren z. B. durch Blitzschlag, umstĂŒrzende BĂ€ume etc. zu schĂŒtzen – und dafĂŒr mĂŒssen wir die herrschenden WetterverhĂ€ltnisse laufend beobachten und bewerten. Eine VerĂ€nderung sehen wir hinsichtlich der HĂ€ufigkeit der EinsĂ€tze. Nicht nur, weil es seit der Pandemie wesentlich mehr – auch unbedarftere – Bergsteiger:innen und damit entsprechend mehr Bergrettungseinsatze gibt. So bemerken wir einen deutlichen Anstieg an Wasserrettungen, die wir auf die immer heiseren Temperaturen im Sommer zurĂŒckfĂŒhren. Denn diese treiben die Menschen zunehmend ins Wasser, wo sie dann z. B. von Flussströmungen ĂŒberrascht werden, die sie nicht mehr bewĂ€ltigen können. 

Wie geht die Entwicklung weiter? Mit welchen Szenarien rechnen Sie in Ihren Planungen, und wie stellen Sie sich darauf ein?

Wir erwarten zukĂŒnftig noch mehr einzelne Gewitterzellen, die punktuell zu starkem Niederschlag fuhren, sowie großflĂ€chige BrĂ€nde durch langanhaltende DĂŒrre. Diese PhĂ€nomene kennen wir bereits und sind darauf bestens vorbereitet. Um uns noch besser auf die medizinischen NotfĂ€lle aufgrund andauernder Hitze vorzubereiten, arbeiten wir derzeit an einer KI, die uns vorhersagt, wann vermehrt mit hitzebedingten Krankheitsnotfallen zu rechnen ist. Ein großes Thema, dem wir uns aktuell ebenfalls widmen, sind Stromausfalle. Auch dafĂŒr sind wir als Leitstelle bestens gerĂŒstet: Mit unseren Notstromaggregaten, großen USV-Anlagen (USV: unterbrechungsfreie Stromversorgung), eigenen Funkgeraten und Satellitentelefonen sowie unseren Starlink-Satellitenlosungen sind wir auch im Fall eines großflĂ€chigen Stromausfalls voll einsatzfĂ€hig.

Wie sehr ist die Klimakrise Thema unter Ihren Mitarbeiter:innen, die ja tagtÀglich mit den Auswirkungen konfrontiert sind?

NaturgemĂ€ĂŸ beschĂ€ftigt sich unser Team mit den Auswirkungen der Klimakrise, sowohl beruflich als auch privat – wenngleich diese Trennung bei uns nicht so scharf ist, da fast alle unsere Mitarbeiter: innen ehrenamtlich bei Rettungs- oder Einsatzorganisationen tĂ€tig sind. Sie sehen, dass es z. B. wĂ€hrend einer Hitzeperiode oder bei großen Unwettern vermehrt zu Notrufen kommt. Gleichzeitig sind sie durch Schulungen auch sensibilisiert auf Szenarien wie z. B. Blackouts – und dadurch besser darauf vorbereitet als andere BĂŒrger:innen, die sich nicht so intensiv mit dem Thema beschĂ€ftigen.

Worin sehen Sie die besten LösungsansÀtze?

Die stĂ€ndige Beobachtung des Wetters ist ein entscheidender Faktor, um gute Vorhersagen treffen zu können. Und je besser ein Ereignis vorhergesagt werden kann, desto besser können wir uns darauf vorbereiten. „Wir“ meint dabei sowohl uns als Notrufleitstelle als auch die Bevölkerung. Eine wichtige Maßnahme ist weiters der stĂ€ndige Ausbau der Digitalisierung. Denn je mehr Informationen wir sammeln, desto großer ist unser Erfahrungsschatz, mit dem wir die PhĂ€nomene besser verstehen lernen. Und wie so oft ist es auch hier das Wichtigste, gut zusammenzuarbeiten und die aufkommenden Herausforderungen gemeinsam zu bewĂ€ltigen.

Josef Schmoll Josef Schmoll ist seit November 2023 GeschĂ€ftsfĂŒhrer von Notruf Niederösterreich. Mit mehr als 4 Millionen koordinierten EinsĂ€tzen pro Jahr, davon rund 300.000 NotfalleinsĂ€tzen, ist die zentrale Alarmierungsstelle fĂŒr Rettungs- und NotarzteinsĂ€tze die grĂ¶ĂŸte Einsatzleitung Europas und zĂ€hlt zu den fĂŒnf grĂ¶ĂŸten weltweit.