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Meine Erstbegegnung mit einem Waldviertler Windrad

Oder: Warum die Haltung „Alles soll so bleiben, wie es ist“ kein Beitrag zum Umweltschutz ist.

10.2022 - Zurück zur Übersicht

Der Anlass für meine erste Begegnung mit einem Windrad im Waldviertel geht auf eine Kontroverse mit dem Wiener Mundartmusiker Roland Neuwirth zurück. Sie wurde öffentlich ausgetragen in der Tageszeitung „Die Presse“. Der Anlass: Wir waren unterschiedlicher Meinung über einen Sprachwandel unter österreichischen Jugendlichen. Neuwirth befürchtete einen Verlust der sprachlichen Identität, weil die „Tüte“ und das „Tschüss“ bald das „Sackerl“ und das „Servus“ verdrängen würden. Mein Blickwinkel war zweifellos durch die Tatsache geprägt, dass ich selbst aus Deutschland stamme. So riet ich zur Gelassenheit und vertrat die Meinung, Sprachwandel habe es immer schon gegeben. Versuche von Erwachsenen, den Jugendlichen vorzuschreiben, wie sie zu reden hätten, wären ohnehin zum Scheitern verurteilt.

Aus dieser Kontroverse entwickelte sich dann überraschenderweise eine Bekanntschaft, die auf gegenseitiger Wertschätzung beruhte. Irgendwann lud Neuwirth mich ein, ihn einmal im Waldviertel zu besuchen. Ich stieg also in Wien in den Zug – mein Auto hatte ich bereits vor vielen Jahren aus ökologischer Überzeugung abgeschafft. (Wobei ich einräumen muss, dass eine solche Entscheidung in einer Großstadt mit einem gut ausgebauten öffentlichen Verkehrsnetz wesentlich leichter fällt als auf dem Land.)

Nie werde ich den Moment vergessen, als Neuwirth mich auf dem Bahnsteig des Provinzbahnhofs mit den Worten begrüßte:

„Du fährst echt Zug? Ich steig nie in einen Zug, da darf man ja noch nicht mal rauchen!“

Während der Fahrt zu seinem schön renovierten Vierkanthof in der Thaya-Gegend, machte er mich auf einige Windräder aufmerksam. Und er machte keinen Hehl daraus, dass er sie für Schandflecken in der Landschaft hielt, die niemand braucht.

Jetzt stehen Neuwirth und ich also wieder auf verschiedenen Seiten in einer Kontroverse. Er ist öffentlich deklarierter Windkraft-Gegner. Und ich arbeite inzwischen als Texter für ein Windkraft-Unternehmen. Einer meiner ersten Beiträge im Rahmen dieser Tätigkeit war ein Artikel im W.E.B-Firmenmagazin energievoll über die Energiewende. Er endet mit folgendem Apell:

„Der allmähliche Aufbau unseres Wohlstands hat erhebliche Veränderungen unserer Lebenswelt mit sich gebracht. Von Telegrafen- und Stromleitungen über Straßen, Industrieanlagen, Eisenbahntrassen bis hin zu Hochhäusern und Handymasten. All diese Veränderungen wurden anfangs skeptisch beäugt, doch die nächste Generation hat sie bereits als unabdingbar für unseren Wohlstand akzeptiert. Nun hinterlässt die Energiewende ihre sichtbaren Spuren in der Landschaft: Neue Windparks und Photovoltaikflächen entstehen. Und ausgerechnet jetzt, wo wir das einzig Richtige tun und unsere Lebensweise auf eine ökologische Energieversorgung umstellen, wehren sich manche Menschen gegen den Anblick neuer Windräder. Wir haben keine Generationsspanne mehr Zeit, mit der Rettung des Planeten zu beginnen, wir sollten rasch lernen, ein Windrad nicht als Störfaktor in der Natur zu betrachten, sondern als weithin sichtbares Symbol dafür, dass wir in Klimafragen endlich auf dem richtigen Weg sind.“

Was musste in der Waldviertler Landschaft nicht alles verändert werden, damit Neuwirth mich mit seiner brennstoffbetriebenen Limousine am Bahnhof abholen konnte. Straßen mussten gebaut werden, Schienen und Elektroleitungen verlegt, Bahnhöfe, Tankstellen und Werkstätten wurden errichtet. Wo zuvor noch Wälder und Wiesen gediehen, wurde geschlägert, gerodet und asphaltiert.

Im Grunde entspringt Neuwirths Windkraft-Gegnerschaft derselben Quelle wie seine Abwehr gegen den Sprachwandel. Es ist der tief sitzende Wunsch, dass alles so bleiben möge, wie es ist. Ich will über diesen Wunsch gar nicht vorschnell den Stab brechen. Der Wandel so vertrauter Dinge wie Sprache oder Landschaft führt uns die Vergänglichkeit dessen vor Augen, was uns seit unserer Kindheit geprägt hat. Aber wer auf einer solchen Haltung beharrt, der macht seine eigene Wehmut zum gültigen Maßstab für alle anderen. Manchmal müssen wir unweigerlich lernen, Dinge loszulassen. Denn wenn wir den punktuellen Landschaftswandel, den eine Energiewende mit sich bringt, um keinen Preis akzeptieren wollen, dann werden unsere Kinder schon bald noch weit dramatischere Veränderungen der Landschaft in Kauf nehmen müssen: Trockenheit, Verwüstungen, Überschwemmungen, Baumsterben und Versteppungen. Den bisherigen Wandel, der uns den Komfort gesichert hat, zu akzeptieren, aber jeden weiteren auszuschließen, scheint mir eine inkonsequente und recht egozentrische Haltung zu sein. Vor allem dann, wenn eine Energiewende sich gerade daranmacht, nicht nur unsere künftige Energieversorgung zu sichern, sondern auch das Klima zu schützen.

In einem Punkt bin ich mir mit Neuwirth völlig einig: Es ist wirklich schön anzuschauen, dieses Waldviertel. Aber nur so lange es noch seinen Namen verdient und von Wald bedeckt ist. Die wenigen Bäume, die für ein Windrad gefällt werden müssen, sind am Ende nur ein Beitrag dazu, einer ganzen bewaldeten Region ihren Bestand zu sichern.