„Das Mindset zu Erneuerbaren hat sich 2022 fundamental positiv verändert …“
Die beiden Vorstandsmitglieder der WEB Windenergie AG, Frank Dumeier und Michael Trcka, im Gespräch über das turbulente Ausnahmejahr 2022, das nicht nur Preisrallyes und Kostenexplosionen gebracht hat, sondern auch ein starkes Commitment für den Ausbau der Erneuerbaren Energien und eine entsprechende Basis für das Wachstum der W.E.B.
Die Erwartungen an das Jahr 2022 waren groß. Nach zwei fordernden Pandemiejahren war unsere Sehnsucht stark, in eine unbeschwerte Normalität zurückzukehren. Und dann kam es doch anders: Krieg in Europa, Energiesorgen und Rekordinflation. 2022 wurde unsere bisherige Weltordnung erschüttert. Wie gestaltete sich das Jahr für die W.E.B?
Dumeier: 2022 war auch für die W.E.B ein außergewöhnliches Jahr. Das beginnt damit, dass es das schlechteste Windjahr unserer Unternehmensgeschichte war – außer im Jänner, Februar und April blieb das Windaufkommen deutlich unter dem langjährigen Durchschnitt. Trotzdem ist es dank der Erweiterung unserer Kapazität um rund 52 MW gelungen, mit 1.312 GWh einen neuen Produktionsrekord aufzustellen und sowohl Umsatz als auch Ergebnis deutlich zu steigern. Zudem haben wir 2022 unsere Pipeline auf insgesamt 111 Projekte bzw. mehr als 3.000 MW so kräftig ausgebaut wie noch nie. Denn das vergangene Jahr brachte auch starken Rückenwind für den Ausbau regenerativer Energie. Die Energiewende nimmt an Fahrt auf, und wir gehen mit voller Kraft voran.
Trcka: Auch in der Vermarktung unseres Grünstroms haben wir 2022 eine nie dagewesene Dynamik erlebt. Trotz rasant steigender Preise sind wir im ersten Halbjahr von Neukund:innen buchstäblich überrannt worden. Als die verfügbaren Mengen im September ausgeschöpft waren, haben wir vorerst keine neuen Verträge mehr abgeschlossen – und waren damit nicht die Einzigen, die sich aus dieser Preisrallye ausgeklinkt haben. Sobald sich die Lage normalisiert, wollen wir zumindest einen Teil unserer Tarife wieder öffnen, um interessierte Stakeholder:innen mit unserem Strom zu beliefern.
Neben der von Ihnen angesprochenen, lange anhaltenden Windflaute gab es 2022 auch zahlreiche Extremwetterereignisse, die wohl mit der Erderwärmung einhergehen. Wie stark waren Sie davon betroffen?
Dumeier: Insgesamt lag die technische Verfügbarkeit unserer Anlagen 2022 über 98 %, wir hatten also wieder ein sehr ordentliches Betriebsführungsjahr. Allerdings haben uns wetterbedingte Ausfälle zu schaffen gemacht, unter anderem Blitztreffer an Rotorblättern in Österreich und Italien. Im September fegte dann der Hurrikan Fiona mit mehr als 140 Stundenkilometern über Nova Scotia hinweg, wo auch einige W.E.B-Windparks stehen. Dabei wurde das Verteilnetz stark in Mitleidenschaft gezogen und fiel teilweise aus. Unsere Anlagen blieben aber unversehrt und haben sich damit als „hurricane-proof“ erwiesen.
Bleiben wir kurz beim Thema Neuanlagen. Wie teilen sich die neuen 52 MW des Jahres 2022 auf, und welche Projekte enthält Ihre beeindruckende Pipeline?
Dumeier: Neben unserem Hauptgeschäft, der Windenergie, entwickelt sich auch die Solarenergie zu einer immer bedeutenderen Wachstumssparte für die W.E.B. Wir gehen mit dem Photovoltaikboom mit und haben 2022 neun Photovoltaikanlagen in Betrieb genommen, die wir an Standorten von Industriepartnern errichtet haben, um deren Eigenversorgung zu steigern. Der größte Kapazitätszuwachs stammt aber von drei neuen Windparks: Im Oktober haben wir den 20-MW-Windpark Silver Maple in Maine, USA, in Betrieb genommen.
Zwei weitere spannende Projekte sind die beiden österreichischen Windparks Matzen/Klein-Harras II mit 12,6 MW und Spannberg III mit 16,8 MW, die wir im Frühling 2022 neu ans Netz gebracht haben. Was die nahe Zukunft betrifft: Aktuell haben wir mehr als 140 MW mit einem Investitionsvolumen von fast 200 MEUR in Bau, die wir heuer und 2024 in Betrieb nehmen wollen. Darüber hinaus werden wir im Lauf des Jahres noch weitere Projekte bis zur Anlagenbestellung vorantreiben.
Trcka: Dort, wo es die Rahmenbedingungen zulassen, nehmen wir auch große Wind- und Photovoltaikprojekte in unsere Pipeline auf. Das trifft aktuell besonders auf Kanada, die USA und Italien zu. So soll in Ariano bereits 2024 ein Windpark mit 84 MW in Betrieb gehen. Da die politische und gesellschaftliche Unterstützung für den Ausbau der Erneuerbaren so stark ist wie selten zuvor und wir für diese Wachstumsoffensive natürlich entsprechende Mittel brauchen, wollen wir künftig unsere Dividendenpolitik anpassen und die Payout-Ratio auf zirka ein Drittel reduzieren.
… die politische und gesellschaftliche Unterstützung für den Ausbau der Erneuerbaren ist so stark wie selten zuvor …
Das Thema Energie hat 2022 einen völlig neuen Stellenwert bekommen. Sowohl Private als auch Unternehmen haben sich plötzlich in einer nie dagewesenen Dringlichkeit mit nachhaltiger Energieversorgung beschäftigt. Und dabei auch erkannt, dass Sicherheit mit Unabhängigkeit einhergeht.
Dumeier: Eine direkte Auswirkung des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine ist die – im Prinzip auch schon zuvor naheliegende – Erkenntnis, dass wir zu einem großen Teil von russischem Gas abhängig sind. Die fieberhafte Suche nach Alternativen hat das Mindset zu Erneuerbarer Energie tatsächlich fundamental geändert. Ursprünglich hätte sich die Industrie ja gewünscht, dass man die Sanktionen gegen Russland zeitlich beschränkt. Dann kam der große Schwenk zum Energiesparen – und zur erneuerbaren Eigenerzeugung.
Trcka: Um als europäisches Unternehmen weiterhin wettbewerbsfähig zu bleiben, braucht es sicher beides – mehr Energieeffizienz und mehr Erneuerbare, und das möglichst rasch. Denn die europäische Industrie kann ihre Produkte bei derart hohen Energiepreisen auf dem Weltmarkt nicht mehr verkaufen. Wenn wir ein Abwandern von Produktionen in die USA oder nach Asien verhindern wollen, müssen wir in Europa auf Erneuerbare Energien setzen. Jedes zweite bis dritte Unternehmen hat das bereits verstanden. Entsprechend groß ist die Nachfrage insbesondere nach eigenen Photovoltaikanlagen. Und auch in der Politik ist gegen Ende des Jahres angekommen, dass es hier um nichts weniger geht als um den Wirtschaftsstandort Europa. Denn wir können nur dann international konkurrenzfähig bleiben, wenn wir die Erneuerbaren Energien ausbauen.
Also befeuert die Energiekrise de facto die Energiewende?
Trcka: Die Energiekrise infolge des russischen Überfalls auf die Ukraine ist nicht der einzig bestimmende Faktor, sie verstärkt und beschleunigt aber auf jeden Fall eine Dynamik, die bereits zuvor eingesetzt hatte: Die Wirtschaft hatte ja schon erkannt, dass sich Dekarbonisierung rechnet. Schon in den vergangenen Jahren ist die installierte Leistung bei Photovoltaikanlagen massiv angestiegen und hat sich in Österreich allein von 2020 auf 2021 mehr als verdoppelt. Für uns als W.E.B bringt diese verstärkte Nachfrage der Industrie ein neues unternehmerisches Setting und neue Herausforderungen mit sich. Denn bisher haben wir in einer öffentlichen Ausschreibung einen Preis genannt und können uns über die gesamte Betriebsdauer sozusagen auf Staatsgarantien verlassen. Neuerdings rechnen sich Projekte für Unternehmen, die – bei aller Bonität – natürlich ein ganz anderes Gegenüber sind. Darauf müssen auch wir uns einstellen.
Dumeier: Die Beschleunigung von Umweltverträglichkeitsprüfungen könnte sehr viel Positives für die Umsetzung von Projekten bewirken. Deutschland ist hier mit einem Notstandsgesetz vorangegangen, das mit Einverständnis von Gemeinde und Grundbesitzer:innen erlaubt, 200 m rechts und links von einer Bundesautobahn oder Eisenbahn Photovoltaikanlagen überhaupt ohne Baugenehmigung zu installieren. Naheliegende Lösungen wie diese oder auch die Erlaubnis, an jedem Windstandort eine gleich starke Photovoltaikanlage zu errichten, wünschen wir uns auch für Österreich. In Niederösterreich sind bereits Erleichterungen für Solaranlagen bei Industriebetrieben beschlossen worden, und das neue österreichische UVP-Gesetz stellt in Aussicht, dass man einfacher und schneller bauen kann. Denn die Errichtung von Windkraftwerken ist nun auch in Bundesländern ohne entsprechende Raumordnung und an Standorten erlaubt, die in der Zonierung bisher nicht dafür vorgesehen waren. Das kann uns den nationalen Klimazielen einen deutlichen Schritt näher bringen.
2022 kam es zu nie dagewesenen Verwerfungen auf dem Energiemarkt. Die Vorbereitung auf eine Gasmangellage und die Angst vor einem kalten Winter trieben die Gas- und Strompreise in nie gekannte Höhen, und der Ruf nach staatlichen Eingriffen wurde laut.
Trcka: Ja, das war ganz neu, dass sowohl Private als auch die Industrie – die das ja über Jahrzehnte ausdrücklich nicht wollte – eine Abfederung der Preise einforderten. Dieser Ruf wurde gehört und mit EU-weit koordinierten Eingriffen beantwortet. Dabei hat die Begrenzung der Erträge auf erneuerbaren Strom auch uns 2022 getroffen und wird das auch 2023 noch weiter tun. Dennoch profitieren wir von den gesteigerten Erlösen und konnten unser Ergebnis trotz schlechter Windernte signifikant ausbauen. Die Überlegung muss hier sein, ob man den Markt regulieren will – oder nicht. Denn klar ist, dass kurzfristige Eingriffe in ihrer Treffsicherheit immer begrenzt sind und vielfach zu Verunsicherungen führen. Zudem ist die Verfälschung des Preissignals nicht unproblematisch, da sie den Anreiz zum Energiesparen nimmt. Grundsätzlich regelt sich der Markt selbst, Stützungen und Abschöpfungen verändern ihn ja nicht. In der Extremsituation 2022 hat sich jedoch gezeigt, dass man eine natürliche Preisfindung politisch nicht aushält und daher – im Sinn einer Krisenintervention – abfedern muss. Für Private dürften die Preise nun ohnehin wieder auf ein erträgliches Niveau zurückgehen, wobei schon die Inflation dafür sorgt, dass sie auf jeden Fall höher bleiben werden als vor 2022.
Dumeier: Durch die Abschöpfung unserer Umsätze müssen wir als W.E.B die Zeche für etwas bezahlen, das gar nicht auf unser Konto geht. Denn wir haben Gas nie als Brückentechnologie gesehen, weil es CO2-Emissionen verursacht. Im Gegenteil: Wir arbeiten seit fast drei Jahrzehnten an einer echten Lösung für eine nachhaltige Energiezukunft, dafür werden wir jetzt de facto abgestraft. Dabei muss ich aber einräumen, dass das Bundesgesetz über den Energiekrisenbeitrag-Strom in Österreich – im Unterschied zu anderen Ländern – aufgrund der Anreize für Investitionen in regenerative Energien verhältnismäßig gut gestaltet ist. Dass wir mit fossilen Brennstoffen nicht weiterkommen, wird immer deutlicher. Entsprechend hoch sind auch die gesellschaftlichen Erwartungen an den beschleunigten Ausbau der Erneuerbaren zur Stabilisierung der Energiepreise – der nun von der Politik entsprechend unterstützt wird.
Trcka: Dass aktuell in Deutschland und auch in Österreich die Höchstpreise für Ausschreibungen angehoben wurden, hängt dabei auch mit der Inflation und den gestiegenen Zinsen zusammen. Die Preise für neue Anlagen sind ja kräftig – um bis zu 50 % – gestiegen. Das bezahlen wir alle über einen nachhaltig höheren Strompreis.
Ihre Wachstumsstrategie schließt sicher auch eine entsprechend steigende Zahl an Mitarbeiter:innen ein. Wie schaffen Sie es, geeignete Kandidat:innen zu finden und vom Standort Waldviertel zu überzeugen, den sie gerade ausbauen?
Dumeier: Natürlich spiegelt die Erweiterung unserer Zentrale unseren Personalbedarf wider, speziell in jenen Funktionen, die wir zentral belassen wollen – wie etwa Einkauf, Betriebsführung oder Technik & Service. Die derzeitige Erweiterung des Standorts Pfaffenschlag umfasst u. a. Büroflächen, große Besprechungszonen für Meetings, die online nicht stattfinden können, und Shared Offices für Mitarbeiter:innen aus den Regionalbüros. Noch vor dem Sommer 2024 sollen die Bauarbeiten abgeschlossen sein. Aber auch unsere Regionalbüros werden 2023 weiter ausgebaut.
Trcka: Zur Umsetzung unseres Wachstums ist die Anzahl unserer Mitarbeiter:innen 2022 um 24 und damit um etwas mehr als 10 % gestiegen. Angesichts unserer Projekt-Pipeline wollen wir 2023 konzernweit 50 bis 60 weitere einstellen. Dabei wachsen wir nicht nur in unserer Zentrale in Pfaffenschlag, sondern auch in Wien und an unseren internationalen Standorten, die teils bereits in Betrieb sind und teils gerade entwickelt werden. Zu Paris, Hamburg, La Spezia, Brno, Bratislava, Boston und Halifax kommen bald neue Regional-Bürostandorte hinzu. Denn wir wollen dort sein, wo unsere Projekte entwickelt werden – eine Strategie, die sich sehr bewährt hat und deshalb in den nächsten Jahren fortgesetzt werden soll. Da unser Sektor gerade boomt, ist das Recruiting nicht ganz leicht, aber als erfahrene, international gewachsene Pionierin hat die W.E.B doch einiges zu bieten.
Attraktive Angebote macht die W.E.B auch dem Kapitalmarkt. Sowohl Aktienpreis als auch Aktionärsbasis haben 2022 einmal mehr deutlich zugelegt, und von Anfang März bis Mitte April lief die Angebotsfrist für eine neue Windkraftanleihe. Können Sie uns schon verraten, wie sich die Nachfrage nach dieser Anleihe gestaltet?
Trcka: Der Preis der W.E.B-Aktie zeigte 2022 ähnliche Auf- und Abwärtsbewegungen wie der allgemeine Markt, im Unterschied zum ATX und den wichtigsten internationalen Indizes gab es aber im Jahresverlauf insgesamt einen kräftigen Zuwachs um rund 20 %. Auch die Zahl unserer Aktionär:innen ist 2022 um gute 13 % gestiegen, was umso beachtlicher ist, da wir ja 2022 keine Kapitalmaßnahmen durchgeführt haben. Nach der Kapitalerhöhung vor zwei Jahren haben wir wieder eine Anleihe begeben, um damit die entsprechenden Mittel für unsere laufenden Investitionen und das geplante weitere Wachstum zu lukrieren. Dass wir eine Zeichnungssumme von mehr als 30 MEUR erreichen konnten, macht uns durchaus stolz und bestätigt unseren Weg.
Ihr ambitionierter Wachstumskurs verrät Ihren optimistischen Blick auf die Zukunft.
Dumeier: Die vielen starken, fundamental positiven Impulse für die Erneuerbaren im Jahr 2022 haben unseren Optimismus genährt und geben uns die notwendige Kraft und Bestätigung für weitere Wachstumsjahre. Ich bin heute zuversichtlicher denn je, dass die Energiewende gelingen kann – und dass wir mit unserem jahrzehntelang aufgebauten Know-how, unserer Umsetzungsstärke und unserem Spirit als Teil der Lösung wesentlich dazu beitragen.
Trcka: Dabei rechnen wir angesichts unserer Kapazitätserweiterungen für 2023 und die Folgejahre mit weiteren deutlichen Produktionssteigerungen. Götzendorf, Dürnkrut, Gols und Sigless in Österreich, Kuhs in Deutschland, Ariano und Apricena in Italien – das werden Inbetriebnahmen in einem nie dagewesenen Umfang. Gleichzeitig arbeiten wir an einer Fülle von neuen, teils auch sehr großen Windkraft- und Photovoltaikprojekten. Das eröffnet uns in der Tat einen sehr freudigen Blick auf unsere Zukunft.
Die vielen starken Impulse für die Erneuerbaren geben uns die notwendige Kraft und Bestätigung für weitere Wachstumsjahre.